Virtual Reality (VR) ist seit Jahrzehnten eine Technologie mit vielen Erwartungen, auch für den Ausbildungsbereich, zu der sich in den letzten Jahren Augmented Reality (AR) hinzugesellte. Obwohl es bereits zahlreiche Studien zu teilweise vielversprechenden Lerneffekten von immersiven Technologien gibt, sind diese aufgrund methodischer Mängel, zu geringen Probandengrößen oder fehlender Langzeitbetrachtung nicht verlässlich. Gerade die Multimodalität von VR sowie die erforderlichen sozial-kollaborativen Fähigkeiten zum ortsunabhängigen Lernen, stellen ein neues Erprobungsfeld für den Einsatz dieser sich aktuell rasant verbessernden Medientechnologie dar.

Ursprünglich sehr teuer und von eher geringem technologischem Reifegrad, sind die Preise in den letzten Jahren in den Bereich der Konsumgüter gesunken, die Vielfalt und der Reifegrad im Gegenzug sowohl auf der Ebene der Geräte, des Bedienkomforts und der Inhalte und Anwendungen stark gestiegen. Weiterhin gab es eine Ausdifferenzierung bei Konzepten und den Begriffen, wie Mixed Reality (MR) oder Augmented Virtuality (AV) – alles vereint unter dem Überbegriff Extended Reality (XR).

Gemeinsam ist diesen Technologien das Nutzungsziel, audiovisuelle Erfahrungen mit physischen Bewegungen im Raum zu verbinden. So wird eine Realität simuliert, die im besten Fall mit dem Eintauchen in diese Simulation und Annehmen als echte Realität mündet. In dem Fall wird von Immersion gesprochen. Hierbei ist zu beachten, dass Immersion ein Phänomen des Erlebens ist, somit handelt es sich um einen kognitiven und keinen technischen Prozess. VR ist jedoch dafür konzipiert, Immersion reichhaltiger und umfassender zu unterstützen als es andere Medien können. Voraussetzung jedoch ist und bleibt, dass sich das didaktische Design, die Gestaltung des Lernangebots und das eingesetzte Interface aus dem didaktischen Nutzen herleiten.

Einflussfaktoren auf das Lernen mit VR

Beim Lernen in einem virtuellen Raum stehen technologische Faktoren stark im Vordergrund. Die VR-Brillen ersetzen den Sicht- und Hörbereich des Nutzenden und die damit wahrnehmbare physische Realität durch Displays und Lautsprecher, um eine digital generierte Realität zu erzeugen. Haptisch spürbare Controller erlauben zusätzlich den Händen eine Repräsentation in dieser virtuellen Realität. Dazu wird die Position, Ausrichtung und Bewegung des eigenen Körpers im Raum erfasst, um eine dazu passende audiovisuelle Repräsentation von alternativer Realität (Räume, Objekte und Personen) zu erzeugen. Je überzeugender (je „realitätsnäher“) diese Repräsentation gelingt, umso stärker ist der „Immersion“ genannte Effekt des Eintauchens in die generierte Simulation.

Anwendende tauchen in die VR-Welt auf Hardware-Ebene mit einer „Brille“ ein. Eine VR-Brille so wie man sie aus den Gaming-Kontexten kennt, mit Controllern und deren rudimentär beschrifteten Tasten und Steuerungselementen. Im Vergleich zu einem Tablet mit seiner abstrakten Form und stark reduzierten haptischen Elementen hat das VR-Setup einen klaren Angebotscharakter (affordance). Durch die Gestaltung der Controller wird der Anwendende in der Handhabung unterstützt. Dennoch ist vor der ersten Benutzung eine Einführung erforderlich, die je nach Brillenmodell und dem festgelegten Anwendungsfreiheitsgrad unterschiedlich lang ausfallen kann. Das verwendete System sollte für den Schulalltag optimiert sein, um die Einführungszeit für Lernende auf ein Minimum zu verkürzen.

Einflussfaktoren auf das Lernen mit VR

Neben der oben genannten Affordance auf der Hardware-Ebene, bietet VR auch auf der Applikationsebene (Software bzw. User Experience) eine neuartige, wie auch einzigartige Affordance. So wird der eigene Körper als auch der von anderen Personen als menschähnlicher Avatar mit Mimik und Gestik visuell repräsentiert. Weiterhin schauen Nutzende aus einer natürlichen Ego-Perspektive mitten in die virtuellen Räume.  Dies erzeugt ein starkes Gefühl von Vor-Ort-Sein (presence), der die Immersion stützt. Affordance erfolgt auch auf der Ebene der agency, also der Fähigkeit zur Handlung und des Gefühls, dass diese Handlungen einen wirklichen Einfluss haben: So sind repräsentierte Räume, Objekte und Personen interaktiv, da sie sich in der Regel an der physischen Realität hinsichtlich Gestaltung und naturgesetzlichen Verhalten anlehnen.

Die genannten Faktoren beeinflussen das affektive und kognitive Lernerleben direkt: In Studien ergaben sich beim Lernen in VR statistisch positivere Effekte auf affektive Faktoren wie z.B. Interesse, die Motivation und das Erleben der eigenen Selbstwirksamkeit als auf kognitive Faktoren. Beim Erwerb von deklarativem Wissen – also Fakten- oder Konzeptwissen – ergaben sich positive Effekte beim spezifischen Lernen in VR. Durch das Üben und Anwenden in sehr realitätsnahen Umgebungen ist die Übertragung des Gelernten auf die Praxis gegeben und durch das immersiv-emotionale Erleben manifestiert sich das Wissen nachhaltig (Lern-Outcomes).

Im virtuellen Raum können somit Situationen erlebbar und begreifbar gemacht werden, die im realen Leben nicht mit großem Aufwand oder zu gefahrvollen Umständen umsetzbar wären: Zum Beispiel Objektdesign mit teuren Materialien, Experimente mit giftigen Chemikalien, Einblicke in Lebewesen oder Reisen an schwer zugängliche Orte.

Für die Umsetzung unserer Projekte im Bildungskontext haben wir insbesondere folgende Faktoren in der Umsetzung berücksichtigt und entsprechende Schlussfolgerungen gezogen:

  • Technologische Faktoren: Erwerb notwendiger Fähigkeiten im Umgang mit VR-Technologie: Es wurde sichergestellt, dass sowohl Lernende als auch Lehrende eine umfassende Einführung in die Technologie erhalten, um technische Hürden abzubauen.
  • Affordances: Realitätsnahe Inhalte und Räume mit Interaktionsmöglichkeiten und Tools er- und bereitstellen, um das eigene Handeln zu fördern. Gemeinsam mit den Lehrenden als auch Lernenden wurden für VR passende und unterrichtsrelevante Szenarien entwickelt, die in VR sinnvoll und realitätsnah dargestellt werden können.
  • Affektive und kognitive Faktoren: Lerndesign, welches affektive positive Faktoren fördert und kognitiven Load verringert. Durch den kollaborativen Projektansatz wurden sowohl die Lehrenden als auch Lernenden in den gesamten Entwicklungsprozess einbezogen. Dies steigerte die Motivation und das Gefühl der Selbstwirksamkeit.

Virtual Reality bereichert Unterricht an Schulen in Leipzig

Überblick über die benötigte Hard- und Software für VR im Unterricht

Im Vorfeld unseres Projekts mit der Stadt Leipzig wurde sich für die Beschaffung von fünf Lernkoffern der VIL GmbH mit jeweils sechs VR-Brillen entschieden. So war gewährleistet, dass die notwendige technologische Grundausstattung für eine gesamte Klasse zur Verfügung stand. Das Medienpädagogische Zentrum Leipzig ist für die Aufbewahrung, Verwaltung, Wartung und den Verleih an die Schulen verantwortlich.

Übersicht über eingesetzte Hard- und Software

Hardware

Die VIL GmbH hat speziell für den Bildungskontext einen sogenannten Lernkoffer entwickelt. Dieser Lernkoffer enthält neben einer auszuwählenden Anzahl an VR-Brillen vom Typ Pico Neo 3 eine automatisierte Ladedynamik, um alle notwendigen Devices schnell aufladen zu können, einen integrierten Router, der für das notwendige stabile WLAN sorgt, sowie ein Steuerungs-Tablet, um die VR-Brillen steuern zu können. Das minimiert den Aufwand der Hardware-Installation und -bereitstellung für Lehrkräfte, Dozenten und Trainer und bietet eine stabile Netzverbindung unabhängig von den Bedingungen in der jeweiligen Schule.

Neben den VR-Systemen kamen Standard-Schullaptops von Lenovo zum Einsatz. Diese wurden zur Übertragung der Sicht der VR-Brillen benutzt, um anderen stets Einblick zu gewähren, womit die VR-Nutzer aktuell beschäftigt waren oder um generell Hilfe zu geben. Weiterhin wurden die Laptops für die Editoren der benutzten PC-Anwendungen (siehe unter Software) sowie für Recherchen zu benötigten Inhalten genutzt.

Für die Foto- und Videoproduktion standen 2 Ricoh Theta 360°-Panorama-Kameras inklusive zweier iPads sowie Stativ bereit. Für die Audioaufnahmen ein Studio-Mikrophone.

Software

Bei der Software kamen verschiedene Anwendungen zum Einsatz: VR-Studio von mobfish, Gravity Sketch, Glue und CoEduSpace. Die Unterschiede zwischen diesen VR-Softwareanwendungen liegen in ihren spezifischen Anwendungsbereichen und Schwerpunkten. Die Wahl der Software hing von den spezifischen Anforderungen und Zielen des Projektes ab.

Darüber fanden auch iOS-Apps für die Erzeugung des 360°-Footages von Ricoh Verwendung, als auch der Audio-Editor Audacity für die Tonaufnahmen.

Übersicht der genutzten Software-Anbieter

Wie sieht die Zukunft von VR im Unterricht aus?

In Zukunft könnte die VR-Technologie in verschiedenen Unterrichtsszenarien genutzt werden. Ein Beispiel dafür sind 360-Grad-Anwendungen, bei welchen Themen des Geschichtsunterrichts recht realitätsnah durch Szenarien, begleitet mit Kurzgeschichten dargestellt werden können. Mit dieser Art der Technik besteht die Möglichkeit selbstständig zu arbeiten, statt den Unterricht mit Hilfe von Frontalunterricht zu bestreiten. Mit dieser neuen digitalen Form der Wissensvermittlung wird die Motivation zum Lernen, sowie die erzielten Ergebnisse gefördert. Mehr Details zum konkreten Projektvorgehen und die Erfolgsauswertung haben wir am Beispiel VR@Schulen Leipzig zusammengefasst. 

Das Projekt VR@Stadt Leipzig ist auch Teil des Bildungsreports der Deutschen Telekom


Frank Lamack, Senior Consultant XR | Telekom MMS 

Frank Lamack hatte in seinen 25 Jahren in der Telekom MMS bereits viele Rollen inne; sein Schwerpunkt lag dabei bis heute in der Nutzung von 3D und Virtueller Welten (AR, VR) sowie kreativ-nutzerzentriertem Denken. Als Senior Consultant XR berät er Kunden umfassend zu bestehenden und demnächst marktreifen Lösungen im Umfeld von AR, VR und MR für Spatial Collaboration, VR Learning oder Branding im virtuellen Raum. Mit seinem breiten Spektrum von Konzeption, Design, Realisierung sowie Training und Moderation schafft er für unsere Kunden den Spagat aus Nutzbarkeit und Innovation, um neue Geschäftsfelder zu entwickeln und so nachhaltigen Erfolg abzusichern.