Unternehmen haben erkannt, dass sie mit nutzerzentrierter Gestaltung wirtschaftliche Vorteile erzielen können. Zunehmend wird in nutzerzentriertes Design investiert, grundlegende Prinzipien der User Experience als auch neue Trends finden Berücksichtigung.
Auffällig ist jedoch, dass B2B-Unternehmen im Gegensatz zu B2C-Unternehmen weitaus schlechter abschneiden, wenn man die UX-Reife ihrer Prozesse und digitalen Kanäle wie Webseiten und Shops miteinander vergleicht. Ursache ist häufig ein Mangel an Verständnis für UX-Design mit seinen vielfältigen Facetten sowie seiner Relevanz im Hinblick auf Markenwirkung, Kundenbindung und Umsatz.
In diesem Artikel erfahren Sie anhand ausgewählter Beispiele, durch welche nutzerzentrierten Maßnahmen Sie Shop-Besucher zu treuen B2B-Kunden wandeln und gleichzeitig Prozesskosten sparen sowie die Conversion-Rate und den durchschnittlichen Warenkorbwert erhöhen können.
Definition UX und Reifegrad-Modelle
Zur fachlichen Einordnung möchte ich kurz das Themenfeld User Experience – kurz: UX – inhaltlich greifbar machen.
Viele Entscheider denken nach wie vor bei UX für eCommerce-Lösungen nur daran, wie das Logo im Header integriert wird, Buttons und Links in der Unternehmensfarbe gestylt und Produktdaten in einer häufig vom System standardisiert vorgegebenen Produktdetailseite verortet werden können.
Das Nutzungserlebnis Ihrer B2B-Kunden wird jedoch durch vielfältige Faktoren beeinflusst. Wer nur das Visual Design im Blick hat, verschenkt einen großen Teil des Kuchens. Für die erfolgreiche Ausgestaltung einer positiven Kundenbeziehung sind neben allen Facetten der Interaktionsebene auch die Aspekte der Journey und Beziehungsebene wichtig.
Wenn UX-Kompetenzen nicht von Anfang an bei der Ausgestaltung der Shop-Projekte mitwirken, kann es gut sein, dass der B2B Shop rund um den Go-Live beim Friendly-User Test mit Fachabteilungen oder den Märkten durchfällt. Dies sind die häufigsten Mängel:
- Das Shop Design stellt trotz gebrieftem Farbschema einen Bruch zur Brand Experience der Corporate Website dar. Gefahr: Fehlendes Vertrauen in die Marke und mangelnde Wiedererkennbarkeit
- Die Standard-Navigation mit Menüstruktur oder Aufbau der Metanavigation passt doch nicht so gut zum eigenen Content wie z.B. spezifischen Marketing- und Unternehmens-Informationen, der Katalogstruktur aus dem PIM oder nötigen Service-Einstiegen. Gefahr: Informationen zum Unternehmen, dem Sortiment, USPs, Qualitäts- und Serviceversprechen werden nicht gefunden und Neukunden nicht erschlossen
- Produktkacheln und Filter sind unübersichtlich oder wenig intuitiv zu bedienen. Gefahr: Ihre Kunden finden nicht, was sie suchen, und erzeugen Mehraufwand im Service und Vertrieb. Upselling-Potential wird verschenkt, gewisse Produkte werden beim Wettbewerb gekauft, Differenzierung und Eignung von Produktvarianten wird nicht verstanden
- In Prozessen wie Leadgenerierung und Registrierung von Neukunden entstehen durch schlechte Nutzerführung hohe Abbruchraten und Support-Aufwände. Gefahr: Kundendaten werden nicht erfasst, Reichweite für Sales und Marketingaktivitäten bleibt gering, Umsatz wird nicht realisiert. Mitarbeiter im Support beantworten Anfragen, die durch gute Nutzerführung hätten vermieden werden können.
- Die Zusammenstellung von Entscheidungsvorlagen oder Delegation von Warenkörben sind aus Nutzersicht mangelhaft umgesetzt. Gefahr: Überzeugungsstrategien beim Einkauf scheitern.
- Auf komplexen Seitentypen wie der Produktdetailseite, im Checkout oder der Bestellübersicht im MyAccount gehen wichtige Informationen unter, so dass beispielweise der Unterschied von Produktvarianten nicht ersichtlich ist oder der Nutzer nicht versteht, wie er Warenkörbe splitten bzw. mit verschiedenen Lieferdaten versehen kann. Gefahr: Aufwändiges Nacharbeiten von Bestellungen, Stornierungen und manueller Aufwand im Vertrieb. Kundenzufriedenheit sinkt, Wechselbereitschaft zum Wettbewerb steigt
- Bei kundenspezifischen B2B-Funktionen wie Order on Behalf, Wiederbestellung oder Retouren-Handling treten Nutzungsprobleme auf, da die Shop-Standardprozesse nicht zu den Anforderungen und Prozessen des verkaufenden oder bestellenden Unternehmens passen. Gefahr: Unzufriedenheit und Mehraufwände auf Seiten Ihres Kunden oder in den eigenen Abteilungen. Viele vergessen, dass auch die eigenen Mitarbeiter des eBusiness Teams Nutzer des Shop Systems sind.
Übertragen auf ein UX-Pyramidenmodell, ausgehend von der bekannten Bedürfnispyramide von Masslow, bedeutet das:
Bei Nutzung von Standard B2B-Shopsoftware sind zwar alle relevanten Funktionen vorhanden und die nötigen Daten werden ausgegeben. Was jedoch aus Nutzersicht im Hinblick auf Prozesse und Flows durch das System fehlt, das sind intuitive Bedienbarkeit, Usability von Interaktionselementen oder die schnelle Erfassbarkeit von komplexen Produktinformationen.
Mit dem reinen Styling (Visual Design) der Shop-Oberfläche einer funktionalen Shop-Standardlösung werden weiterhin nur die unteren drei Bedürfnisebenen des Kunden erfüllt: Das Produkt ist funktional, zuverlässig und verwendbar.
Um jedoch ein wirklich werthaltiges Produkt zu schaffen müssen die drei weiteren oberen Facetten der Pyramide erreicht werden, die Komfort- und Begeisterungsfunktionen – den genau auf dieser Ebene entsteht Kundenbindung, Markentreue und volles Ausschöpfen von Umsatzpotentialen.
Wie erreichen Sie die oberen Qualitätsebenen der User Experience für Ihren B2B-Shop?
Funktionell
Ein UX-Consultant begleitet von Anfang an im Anforderungsmanagement bei der Erhebung der Nutzungsanforderungen: Mittels Personas, Customer Journey, User Flows und nutzerzentrierten Beteiligungsformaten wie einem Lean UX Workshop wird aus Kundensicht erhoben, welche Funktionen der B2B-Shop braucht, und was Nutzer von diesen erwarten. Stellen Sie sicher, dass sie bereits im Anforderungsmanagement die Nutzerbrille aufsetzen und nicht nur funktionale Anforderungen formulieren. Diese Anforderungen aus Nutzersicht werden dann gegen den Shop-Standard abgeglichen und im Fall eines Deltas als zusätzliche Story ins Backlog aufgenommen. Wie diese Workshops und Liefergegenstände konkret aussehen können, erfahren Sie detailliert im Blog-Beitrag „Teure Workshops – Zeitverschwendung oder sinnvolle Basis für Ihren Webshop?“.
Zuverlässig & verwendbar
Damit Nutzer einen Shop als verlässlichen Touchpoint beispielsweise zur Materialbeschaffung eines Lieferanten ansehen, muss dieser zuverlässig funktionieren. Er darf den Teamleiter oder Einkäufer nicht in seinem vollen Arbeitstag behindern oder als zusätzliche Frustrationsquelle wahrgenommen werden.
Um sicherzustellen, dass der B2B-Shop problemlos bedient werden kann, empfehlen wir bereits für das Minimum Viable Product (MVP) und zu den Release-Meilensteinen kleine begleitende Usability Tests als Ergänzung zum Sprint Review. Hier testen dann echte Nutzer und nicht der Product Owner, der ja schon weiß, wie es funktionieren sollte. Nutzertests müssen nicht teuer sein: mit dem entsprechenden Setup sind dafür nur wenige Projekttage nötig.
Häufig fällt gerade in diesen Tests auf, dass Tastaturbedienung bei Formularen und Warenkorbseiten, Schnellbestellfunktionen oder besonders Suchen & Filtern nicht erwartungskonform funktionieren. Alternativ kann auch mit einer Expertenevaluation wie dem UX Check ein Assessment Ihres aktuellen Webshops im Vorfeld erfolgen.
Komfortabel
Damit der B2B Shop als komfortabel wahrgenommen wird, gilt es bei den Nutzungsanforderungen und der UI- Gestaltung genau hinzusehen: Passt die Informationsarchitektur? Sind die Seitentypen und Module gut strukturiert, und folgen sie einem klaren, durchgängigen Design? Sind Interaktionselemente als solche gut erkennbar und mit der Tastatur bedienbar? Zudem immer wichtiger: Auch im B2B-Umfeld erfolgen Lieferanten-Recherche und Exploration des Katalogs zunehmend auf dem Smartphone. Wissen Sie, ob Ihr Shop auf dem Handy komfortabel nutzbar ist? Eine Mobile First Evaluation von Produktsuche, Checkout oder Einblick in Bestellhistorie und Status der letzten Bestellung im eigenen B2B-Shop auf dem Handy überrascht viele Unternehmen – meist negativ!
Um diese Reifegradstufe zu erreichen, planen Sie für Ihr B2B Shop-Projekt die folgenden Maßnahmen ein:
- UX Konzepter und UI Designer als Teil des interdisziplinären Teams und Integration in die Sprint-Prozesse.
- Begleitender Aufbau eines Design Systems und digitalen Styleguides für das Shop-Projekt.
- Ganzheitliche Spezifikation von Modulen und Seitentypen im Hinblick auf Aufbau, Verhalten, Visual Design, Responsive Design, Aspekte der Suchmaschinenoptimierung, Empfehlung für Micro Copy und Textlängen, Beratung zur Barrierefreiheit.
- Frühzeitiger Review der Konzepte und Designs durch die Entwicklung.
- Schulterblicke und Prototyping der Umsetzung zur Evaluation von Grenzfällen mit Echtdaten, z.B. Layoutqualtät mit verschieden komplexen Produkten und Datenmengen oder Text-Umbrüche in Fremdsprachen
Angenehm
Um Kunden zu echten Markenbotschaftern und langfristigen Bestandskunden zu entwickeln, muss Ihr Shop mehr können, als nur den Standard zu erfüllen. Auch im B2B-Umfeld erwartet man Begeisterungsfaktoren und möchte im Arbeitsalltag mit möglichst angenehmen und unterstützenden Fachanwendungen oder Bestellportalen arbeiten.
Wenn das Erlebnis dabei gut ist, steigt die Wahrscheinlichkeit deutlich, dass Ihre Kunden Sie auch in der Branche weiterempfehlen. Mit welchen Maßnahmen Sie das schaffen, ist zwar stark abhängig von Ihrer Zielgruppe, dennoch einige Beispiele als Anregung:
- Inszenierung der Produktwelt aus Kundenperspektive & Storytelling: Zielgruppen- und Brancheneinstiege, Produktberater und ROI-Rechner, Case Studies und Referenzen. Sind Sie bereit für den nächsten Schritt, um aus Ihrem reinen Shop eine Customer-Experience-Plattform mit der Verschmelzung von Content, Commerce und Service zu machen?
- Komfortfunktionen für Stammkunden: In Nutzerinterviews erfahren Sie, was Ihre Kunden wirklich brauchen, um effizient regelmäßig bei Ihnen zu bestellen. Ist es der einfache Wiederbestellbutton? Das Anlegen von Product Collections? Schnellzugriffe? Upload von CSV-Listen oder die Bulk-Eingabe von IDs? Brauchen Ihre Kunden die Möglichkeit, individuelle Routinen anzulegen beispielsweise für Freigabeworkflows im Einkauf oder Benachrichtigungen zum Bestellverlauf?
- Preislisten und Verfügbarkeit: Finden und verstehen Ihre Kunden wirklich auf einen Blick die nötigen Preisinformationen, insbesondere für Staffelpreise und Bundles. Bieten Sie komfortable Flows an, um den Kunden bei Nichtverfügbarkeit von Produkten zu Alternativen zu führen oder ihm glaubhaft das nächstmögliche Lieferdatum zu kommunizieren, Erinnerungs- oder Vormerkfunktionen zu nutzen? Zeigen Ihre Trackingkonzepte auf, ob Ihre Kunden hier den Shop verlassen oder wenigstens Ihren Vertrieb anrufen?
Der Schlüssel zum Erfolg ist ein kontinuierlicher Feedback-Zyklus von Nutzerfeedback aus Test- und Trackingdaten und Optimierung der User Experience mit jedem Release.
Bedeutsam
Die höchste Stufe – ein für den Nutzer bedeutsames digitales Angebot bzw. Service zu schaffen -, erreichen Sie mit Ihrem B2B Shop, wenn Ihre Kunden hochindividuelle Anforderungen im Shop wiederfinden und sich das Produkt seamless in den Arbeitsalltag integriert.
Um diese Art der Experience zu schaffen gilt es, Personalisierungsaspekte, Produktempfehlungen, datengestützte Notifications und Reminder im MyAccount sowie eine holistische Betrachtung über alle Stakeholder der gesamten Customer Journey abzubilden.
UX Reifegrad ermitteln
Erfolgreiche Unternehmen erkennt man verstärkt am UX Reifegrad: je höher dieser ist, desto strukturierter und abgesichert entstehen hochwertige Customer Experience Angebote, welche die Kunden und Mitarbeiter begeistern und binden. Um den eigenen Reifegrad zu ermitteln und abzuleiten was es braucht, um in die nächste Stufe zu kommen gilt es die internen Prozesse im eigenen Haus zu hinterfragen.
Wir wissen aus Erfahrung, dass viele, gerade mittelständische Unternehmen, bei der Einführung ihres ersten Online-Shops vor allem auf die funktionale Bereitstellung eines digitalen Vertriebswegs abzielen und die Themen Nutzerzentrierung und User Experience noch nicht forcieren. Diese Unternehmen sind in Reifegrad 1 einzuordnen.
In Unternehmen vom Reifegrad 2 sind der Product Owner oder das Marketing bereits in der Lage, konkrete Anforderungen an die User Experience für das Shop-Projekt zu formulieren. Häufig beschränkt sich die UX-Berücksichtigung jedoch auf Briefings und Designs von Agenturen, die keine explizite eCommerce-Erfahrung haben und das Augenmerk allein auf die Anwendung von Corporate-Design-Grundlagen legen. Hier wird nur die kleine Facette UI Design aus dem großen UX Spektrum berücksichtigt.
Im Reifegrad 3 wird zumindest auf die Beteiligung eines UX Designers im Projekt wert gelegt, häufig jedoch eher punktuell oder im Wasserfallmodell zum Projektstart oder im abschließenden Test vor Go-Live.
Reifegrad 4 bildet ab, dass UX-Prozesse vom beauftragenden Unternehmen bereits aktiv eingefordert werden. Kunden dieser Klasse bringen bereits vorgegebene Design-Systeme mit, sind in der Lage, UX-Anforderungen als Abnahmekriterien in Anforderungen zu formulieren, und sind sich bewusst, dass UX Consulting und UX Design fest verankert im kompletten Konzept- und Umsetzungsprozess sind.
Wer im Reifegrad 5 angekommen ist, hat User-Experience-Prozesse im Projektgeschäft fest integriert: Als Teil des Projekts wird von Anfang die Nutzerbeteiligung forciert, angefangen bei der Anforderungserhebung über Nutzerinterviews und Usability Tests bis zur regelmäßigen Überprüfung der Nutzerfreundlichkeit von Prozessen, Modulen und Interaktionen. Die Qualität von UX-Leistungen ist fest im Projekt eingeplant und budgetär berücksichtigt. In der Ausbaustufe gibt es feste Quality Gates für Digital-Lösungen, ohne die ein System nicht live gehen kann, feste User-Research-Datenbanken oder User Insights Panels.
Im höchsten Reifegrad 6 ist User Experience institutionalisiert: Nutzerzentrierung ist Teil der Unternehmensstrategie, fester Teil der Produktentwicklung, Lieferanten- und Systemauswahl. Das Unternehmen hat dedizierte Verantwortliche für Customer und User Experience, stiftet Synergien zwischen Projekten und Tools entlang der Customer Journey, nutzt CX und UX KPIs zur Erfolgsmessung und Budget-Allokation von Initiativen. Und vor allem: es richtet Portfolio- und Produktentwicklung an den Bedürfnissen der Zielgruppe aus.
Kennen Sie den UX-Reifegrad Ihres Unternehmens?
Wollen Sie mehr Umsatz durch eine nutzerzentrierte Gestaltung Ihres Onlineshops erreichen? Oder möchten Sie wissen, wie gut Ihr Webshop bereits dasteht?
Wir sind Digitalisierungs-Experten aus Leidenschaft und vermitteln in unserem Blog einen Einblick in aktuelle Trends und Themen rund um Digitalisierung, neue Technologien und die Telekom MMS.