20 Jahre brandmarkte dieser Begriff unsere Servicelandschaft. Lang genug!
Dieser Artikel erschien in der INTERNET World Business vom 29. März 2016.
Wir schreiben das Jahr 1995: In Japan wird die DVD als Speichermedium vorgestellt, Microsoft launcht in den USA sein neues Betriebssystem Windows 95 und hierzulande tritt zum Jahresende die „Servicewüste Deutschland“ auf den Plan. Ganz recht. Der von Wirtschaftsprofessor Hermann Simon geprägte Begriff, das Synonym für die hiesige Servicelandschaft, feierte letztes Jahr seinen 20. Geburtstag. Na, herzlichen Glückwunsch! Sicher, schlechten Service gab es auch schon vor der Simon’schen Namensgebung, aber losgeworden ist unsere Volkswirtschaft das Brandmal seither nicht. Kein anderer Begriff steht so sehr stellvertretend für das Außenbild einer ganzen Industrie und muss so oft als Rechtfertigung herhalten.
Dabei haben das Marketing und vor allem auch der Handel längst erkannt, dass es gilt, den Kunden in den Mittelpunkt zu stellen. Der Service sollte da keine Ausnahme bilden – nicht im B2C- und schon gar nicht im B2B-Geschäft, auf das Kunden längst auch ihre Ansprüche als Endverbraucher projizieren. Und rein technisch sind die Zeiten von Einbahnstraßenkommunikation und Nichterreichbarkeit von Unternehmen ohnehin längst vorbei. Sollte man denken. In der Praxis finden sich Servicesuchende leider noch immer viel zu oft in einer kargen Ödnis wieder. Dabei gilt für den Kundenservice dasselbe Mantra wie etwa im Vertrieb: den Kunden mit individuellen Angeboten überzeugen. Übertragen heißt das: persönlicher Kundenservice ohne Brüche auf allen Endgeräten und an allen physischen Kontaktpunkten und dabei die Möglichkeiten ausreizen, die die Technik heute bietet. Denn eine Entschuldigung für unwissende Service-Agenten, lückenhafte FAQ, fehlende Interaktionskanäle oder ausbleibende Antworten gibt es heute nicht mehr – egal wie groß ein Unternehmen ist.
Und wer jetzt sagt „Ja, aber Kundenservice kostet“, dem sei versichert: Schlechter Kundenservice kostet – Umsatz! Guter Kundenservice bringt mehr ein, weil er dazu beiträgt, aus Kunden Stammkunden zu machen. Und hier verstecken sich Drama und Chance gleichermaßen. Die Chance auf zufriedene Kunden, aber auch das Drama, dies mit verkrusteten Strukturen erreichen zu wollen. Denn in einem Punkt gebe ich den Kritikern Recht: Guter Kundenservice kostet. Und zwar dann, wenn man prozessseitig in der Windows 95-Ära stecken geblieben ist. Wer seinen Agenten fünf verschiedene Tools zur Ticketbearbeitung zur Verfügung stellt, seine Wissensdatenbank nicht mit FAQ verknüpft oder Bestell-, CRM– und Servicedaten nicht verbindet, für den ist Kundenservice natürlich kostenintensiv. Wer sich allerdings der Digitalisierung eines so entscheidenden Geschäftsbereichs verschließt, der sollte sich ernsthaft fragen, in welchen Bereichen analoge und verkrustete Prozessketten die Agilität des Unternehmens sonst noch behindern.
„To service“ heißt auch pflegen. Und genau das ist die Essenz von Kundendienst. Man ist dem Kunden im Wortsinne zu Diensten und pflegt die Beziehung. Rein technisch könnte jedes Unternehmen den Bedürfnissen der Nutzer nach umfassender Verfügbarkeit und einfacher, gradliniger Handhabung nachkommen. Und das sollte es auch. Denn über die Hälfte der Verbraucher, die mit Kundenservice von Anfang an gute Erfahrungen machen, kehren laut einer Zendesk-Studie zu diesem Anbieter zurück und lassen es erneut in der Kasse klingeln. Ein besseres Argument, das Thema anzupacken, gibt es wohl kaum. Sparen wir uns also den Kuchen zum 21. Geburtstag.
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