Salesforce Commerce Cloud, Cloudcraze, B2B Commerce und jetzt auch noch B2B Classic und Lightning? Die Begrifflichkeiten im Commerce Kontext von Salesforce sind vielfältig und selbst für Experten der Salesforce Wolke manchmal leicht verwirrend. Falls Sie sich für einen B2B Shop auf Basis von Salesforce interessieren, sollten Sie erst einmal verstehen, dass es unterschiedliche Produkte im B2B Commerce Kontext von Salesforce gibt und weiterhin einen Überblick über deren Unterschiede erlangen.
Versuchen wir also etwas Licht ins Dunkel zu bringen:
1. The Big Picture of B2B Commerce
2018 akquirierte Salesforce ein bereits vorhandenes Produkt namens Cloudcraze. Dieses wurde sogar auf der Salesforce Plattform gebaut und bietet eine Lösung für E-Commerce im Bereich B2B. Salesforce benannte es nach dem Kauf in B2B Commerce Cloud um. Hier muss man aufpassen, denn das ist nicht zu verwechseln mit der Salesforce B2C Commerce Cloud oder ehemals Demandware, welche oft auch nur als Salesforce Commerce Cloud bezeichnet.
Im Sommer 2020 launchte Salesforce nun aber ein weiteres Produkt in der Familie: B2B Commerce for Lightning Experience oder kurz B2B Lightning. Seither gibt es genau genommen zwei Produkte unter der Bezeichnung B2B Commerce:
- Das ehemalige Cloudcraze, jetzt als B2B Classic oder B2B Commerce for Visualforce und
- die Eigenentwicklung von Salesforce – B2B Lightning.
Hier gilt es erst einmal grundsätzlich zu verstehen, dass nun zwei verschiedene Technologien mit unterschiedlichen Funktionen, Datenmodellen und Frontends existieren, die sich auch nicht ohne weiteres austauschen oder verbinden lassen. Beide Produkte werden laut Aussage von Salesforce fortan existieren, weiterentwickelt und unterliegen dem gleichen Lizenzmodell.
Werfen wir nun einen genaueren Blick auf die Unterschiede.
2. Managed vs. Nativ
B2B Classic – oder ehemals Cloudcraze – wurde zwar auf der Salesforce Plattform entwickelt, ist aber nicht vollumfänglich in die Salesforce Plattform integriert, sondern fungiert eher als eine Art Erweiterung. Das Produkt steht als Managed Package, also einer Sammlung von Plattform Komponenten und Anwendungen bereit und muss folglich installiert werden. Dies hat zwei Nachteile: Es bedeutet, dass Releases des Managed Packages manuell eingespielt werden müssen und das zweitens, die vorhandenen Inhalte keinen uneingeschränkten Zugriff auf den Code erlauben.
Die Neuentwicklung B2B Lightning hingegen ist voll in die Core Plattform eingegliedert und steht nach Erwerb der Lizenzen im Salesforce System bereit. Somit werden Neuerungen auch im bekannten Salesforce Standard Release Kreislauf (dreimal im Jahr) voll automatisch eingespielt.
3. Datenmodell
Die Auswirkungen der vollen Core-Integration von B2B Lightning zeigen sich auch im Datenmodell. Die relevanten Shop Daten bauen auf dem Core-Datenmodell von Salesforce auf. Das hat den Vorteil, dass beispielsweise das Datenobjekt für die Produkte im B2B Shop auch im CRM oder der Service Cloud verwendet wird. Am Ende erhalten wir hier den angestrebten 360° Blick auf den Kunden: Welches Produkt habe ich ihm angeboten (Opportunity und/oder Quote), welches hat er im Warenkorb oder bereits gekauft (Cart und Order) und bei welchen Produkten hat er gerade offene Kundentickets (Cases).
Diese Komplettsicht auf den Kunden ist zwar grundsätzlich auch bei B2B Classic vorhanden, jedoch in den Details etwas komplexer. So kommen durch die Installation des Paketes etliche neue Objekte auf die Plattform, was bedeutet, dass diese mit den Core Objekten synchronisiert und eventuell auch dupliziert werden müssen. Hier entstehen je nach Voraussetzung und Anforderung Aufwände.
4. Backend
Beim ersten Blick in die Commerce App von B2B Classic ist der Nutzer überfordert. Viele Zusammenhänge und Funktionen sind nicht intuitiv und erschließen sich erst beim Nachlesen in der teilweise unvollständigen Dokumentation.
Dies steht im Gegensatz zur Commerce App für B2B Lightning. Hier ist sofort klar, dass diese eigens von Salesforce entwickelt wurde. Deren Stärke ist ersichtlich: ein sehr userfreundliches Interface. Die Menüs und Funktionen sind übersichtlich und klar strukturiert, alles wirkt aufgeräumt. Die verschiedenen Daten sind thematisch geordnet und Zusammenhänge zwischen diesen erschließen sich somit von selbst. Das Managen der (unterschiedlichen) Storefronts wird erleichtert.
Allerdings wird sich noch zeigen, ob die individuellen Anforderungen von vielen Kunden mit den Funktionen und Integrationsmöglichkeiten gut abbildbar sind oder ob diese an einigen Punkten Herausforderungen mit sich bringen werden. So wird beispielsweise der gesamte Checkout Prozess über Flows gelöst. Der Flow Builder ist ein Tool von Salesforce, welches komplexe Prozess-Automatisierungen via Konfiguration, also ohne Programmierung, ermöglicht. Auch wenn solche Automatisierungstools viele Vorteile bieten: die individuellen Anpassungsmöglichkeiten sind dadurch eingeschränkt. Je nach Anforderungslage können höhere Aufwände entstehen, um diese wie gewünscht abzubilden. Auch die neue Lösung Produkt-Übersetzungen über ein Core Cloud Feature von Salesforce abzubilden, könnte bei einem Import der Produktdaten Schwierigkeiten hervorrufen. Das ist in der B2B Classic Variante integrativer umgesetzt.
5. Frontend
Die Technik für die Anzeige des Frontends macht einen namensgebenden Unterschied für die zwei Produkte aus. Die Standard Storefront von B2B Classic basiert auf dem etwas in die Jahre gekommenen framework visualforce – B2B Lightning auf dem neueren Salesforce Standard Lightning.
Das Design ist in beiden anpassbar, im Classic jedoch wesentlich starrer im Standard, was auch auf dem Fakt beruht, dass der Code-Zugriff durch das Managed Package verwaltet wird.
Für B2B Lightning wurde nun ein eigenes (Community) Template entwickelt, welches flexibel via Drag & Drop Builder verändert werden kann. Hier können nicht nur verschiedene Farbschemen, Logos und Themes eingebunden werden, sondern auch Komponenten an verschiedene Zielgruppen adaptiert und für verschiedene Zielgruppen ausgespielt werden. Allerdings sind individuelle Anpassungen hier auch nur in bestimmten Rahmen möglich. Ein komplett individuelles Branding mit spezifischen Design Vorstellungen wird über die Standard-Möglichkeiten hinaus gehen. Weiterhin ist man von festen Lightning Web Components abhängig, die man leider nicht variabel anpassen, höchstens komplett nachbauen kann. Salesforce deutet an, diese Komponenten langfristig eventuell open source zur Verfügung zu stellen, was eine Anpassung oder auch komplette Headless Integration deutlich erleichtern würde.
6. Features
Beide Möglichkeiten bieten eine Vielzahl an typischen B2B Shop Funktionen wie die Darstellung der kundenindividuellen Preise, Staffelpreise, Quick Order Möglichkeiten, Einsicht in die Bestellhistorie, Wunschlisten oder die Möglichkeit für verschiedene Accounts einzukaufen. Wenn man sich aber die weitere Feature Lage von B2B Classic anschaut, wird deutlich, dass es ein historisch gewachsenes Produkt ist. Es bietet (fast) alle gängigen Funktionen, um klassische B2B Shop Use Cases abzubilden.
Die Feature Lage bei B2B Lightning ist hingegen noch nicht so vielfältig. So fehlt die Darstellung von Produkt Variationen im Standard – eine typische Anforderung für die Abbildung von komplexen Produktstrukturen in der B2B Welt. Auch andere im Classic vorhandene Features werden noch vermisst. Aktuell (November ’20) wird noch an einem anonymem Shop Zugang und die damit einhergehenden SEO-Anforderungen gearbeitet. Die Möglichkeiten Promotions und Coupons zu konfigurieren, Produkt Bundles und Kits zusammen zu stellen oder Produkt Abonnements einzustellen, werden erst in den nächsten Release Steps entwickelt und ausgespielt. Allerdings sieht die von Salesforce kommunizierte Roadmap für die Feature Entwicklung vielversprechend aus. Hier wird deutlich der Gedanke eines Minimum Viable Products gelebt – ein Ansatz, der durchaus sinnvoll ist und sich gut mit dem Launch des eigenen Shops verbinden lässt.
Beide Produkte vermissen noch eine gute und durchdachte Umsetzung einer Request-for-Quote Funktion; eine Funktion die gerade in Hinsicht auf die Verknüpfung des Salesforce B2B Shops mit der Salesforce CRM-Anbindung einen wirklichen Nutzen generiert. Die Cloudcraze Lösung beinhaltet eine solche Funktion, der Prozess ist aber aus Vertriebssicht noch nicht zu Ende gedacht. Man kann gespannt sein, wie das in Lightning gelöst wird.
7. Content Management Systeme
Immer nachgefragter wird die Integration von Content Management Systemen und der damit einhergehenden Möglichkeit, Inhalte des Shops und der Website zusammen zu bringen, um Kontextbrüche für den User zu vermeiden. Im B2B Classic lässt sich dieses Ziel vollumfänglich nur über eine externe Anbindung eines CMS Systems erreichen.
Hier punktet B2B Lightning mit seiner eigenen CMS Lösung, welche im Standard vorhanden und bereits in den Commerce Lizenzen inkludiert ist. Produktbilder und -medien für die Storefront werden übrigens über die Mechanismen dieses CMS gespeichert. Es wird sich zeigen, inwieweit das mit etablierten Formaten von angebundenen Produktkatalogen kollidiert. Das CMS ist zugegeben noch sehr simpel, Salesforce weist aber mit der Integration dessen in die richtige Richtung.
8. Zukunftsfähigkeit: Customer Experience Plattform
Bisher existieren noch viele B2B Webseiten mit Absprüngen in die einzelnen Systeme oder Unterseiten wie Blog, dem digitalen Produktkatalog, einem Shop und dem Kundenportal zum Managen der Service Vorgänge. Salesforce setzt mit B2B Lightning ganz klar den Grundstein für einen ganzheitlichen Customer Experience Plattform Ansatz. Mit der Salesforce Plattform lassen sich diese verschiedenen Frontend Module konsolidieren und die Customer Journey somit um ein Vielfaches verbessern.
Die Ausrichtung von B2B Lightning schafft hier eine hervorragende Grundlage für die Erreichung eines solchen Ziels, welches sogar mit den im Standard mitgelieferten Features, wie der automatischen Integration eines eigenen CMS, zu bewerkstelligen ist. Eine automatische Anbindung eines eigenen, externen CMS Systems ist in beiden Varianten über den Headless Ansatz möglich. Die vorhandenen Anwendungen und Funktionen des Shops werden lediglich über eine API angesteuert, andere externe Systeme wie beispielsweise ein CMS werden angebunden und das Frontend wird komplett individuell gestaltet. Dieser Ansatz schafft eine hervorragende Basis für eine einheitliche, userfreundliche Plattform.
Auf Basis welcher Technologie soll ich nun meinen Shop bauen?
Solch eine Frage ist grundsätzlich nicht so leicht zu beantworten. Hier spielen viele Faktoren eine Rolle, die mit teils sehr individueller und unterschiedlicher Gewichtung beachtet werden sollten.
B2B Lightning ist das zukunftssicherere Modell. Es ist eigens von Salesforce entwickelt worden und baut auf neuere Framework Standards. Jedoch ist das Produkt noch nicht vollends ausgereift und bei einer Shop-Implementierung können dadurch, je nach Voraussetzung und Anforderungslage, Herausforderungen entstehen. Auch die Bereitstellung von Standard Funktionen ist zum aktuellen Zeitpunkt (November ’20) noch ausbaufähig. Salesforce entwickelt kontinuierlich an neuen Features, wodurch sich ein agiler MVP-Ansatz auch für das eigene Shop Projekt hervorragend anbietet.
Interessant ist die Frage, was die Entwicklung von B2B Lightning für Nutzer des bisherigen B2B Classic bzw. Cloudcraze bedeutet. Ein Hybrid-Ansatz beider Technologien ist eine erprobte Option. Hier wird das alte Datenmodell mit den bestehenden Features genutzt und mit der Entwicklung von neuen Lightning Web Components für die Frontend-Ausspielung kombiniert – ein gangbarer und von uns sehr erfolgreich implementierter Weg.
Wir sind Digitalisierungs-Experten aus Leidenschaft und vermitteln in unserem Blog einen Einblick in aktuelle Trends und Themen rund um Digitalisierung, neue Technologien und die Telekom MMS.